Wer sich auf dem Wertstoffhof Bissendorf umsieht, wird vielleicht erst auf den zweiten Blick feststellen, dass sich unter den akribisch nach Wertstoffen aufgereihten Containern zur Müllentsorgung ein doch etwas anderer Behälter befindet. Die beiden Berliner Künstler*innen Daniela Fromberg und Stefan Roigk zeigen hier ihre Klanginstallation »Das Kabinett des industriellen Elends«. Von außen betrachtet ist dieses Kabinett ein herkömmlicher Wertstoffcontainer. Wer sich aber hineinbegibt entdeckt Erstaunliches: Wie in einem Museum lehnen Skulpturen aus weißem Styropor an den Containerwänden, ganz wie in einer Kunstsammlung lädt eine Bank zum Verweilen und Betrachten ein. Dazu erfüllen Geräusche den Raum. Was – mag sich der Betrachtende fragen – verschlägt Kunst auf einen Wertstoffhof?
Auf Wertstoffhöfen sammelt sich all das, was defekt, was überflüssig, was in den Augen der Besitzer überholt und nicht mehr brauchbar erscheint, was einst zur Verpackung der Dinge gehörte oder schlichtweg der weiteren Verwahrung als nicht würdig empfunden wird. Das Wegwerfen – so lernen wir es von kleinauf – gehört zu den Dingen! Es beschließt einen Zyklus. Geräte haben eine bestimmte Lebensdauer, hören wir von der Industrie. Unsere eigenen Erfahrungen sagen uns aber auch: diese Dauer umfasst mehr als die bloße Nutzung der Dinge. Denn Dinge haben eine Geschichte, sie begleiten uns für eine gewisse Zeit, sie gehören zu uns und das bedeutet, sie können auch etwas über uns erzählen.
»Das Kabinett des industriellen Elends« spielt mit eben diesen Narrativen. Die feine Ironie, die im Titel der Installation mitschwingt, zielt jedoch nicht nur auf den Umgang mit den Dingen, mit denen wir uns umgeben, sie verweist auch auf das Material, mit dem Fromberg und Roigk arbeiten. Sie hauchen diesen »Lost Souls« unserer Alltags, so die Künstler*innen, neues Leben ein, indem sie ganz bewusst auf deren physische Präsenz verzichten. Fromberg und Roigk arbeiten mit präzise gestalteten Artefakten. Die Styroporskulpturen an den Wänden entpuppen sich beim genaueren Hinsehen als kunstvoll gearbeitete Assemblagen von Styroporverpackungen, die nur erahnen lassen, welchen Dingen genau diese Verpackungen einst als Schutz vor Bruch und Beschädigung dienten. Die collageartige Anordnungen und das räumliche Arrangement lassen bewusst Raum für die individuelle Imagination und Interpretation.
Ebenso abstrakt erscheinen die Klänge. Grundlage der Komposition sind die Geräusche älterer, zum Teil tatsächlich »defekter« Elektrogeräte: einer Kaffeemaschine, eines Rasierapparates, einer Munddusche, eines Kassettenrekorders, eines Walkmans, eines Föns, einer Küchenmaschine. Ihre rein akustische Präsenz wird durch das kompositorische Arrangement in mehreren, räumlich differenzierten Tonspuren weiter abstrahiert. Fromberg und Roigk lassen die Klänge über Körperschallerreger an den Styroporskulpturen abspielen, sodass sie die Skulpturen als stoffliche Körper akustisch aktivieren. Zudem regen sie auch den Container selbst über Körperschallerreger an den Metallwänden an – mit metallisch-schabenden, quietschenden oder tief halligen Klängen, die sie am Container aufgenommen und bearbeitet haben. Die Körper genauso wie ihr Behälter dienen so als Resonatoren und akustische Filter zugleich. »Die Umverpackungen und Geräusche sind (negative) Abformungen der Geräte und bilden«, so Fromberg und Roigk, »als neuer Klangkörper eine imaginäre Präsenz der Dinge«.
Auf diese Weise greift »Das Kabinett des industriellen Elends« durch das eingesetzte Material die Atmosphäre und die spezifische Geräuschkulisse des Wertstoffhofs zwar auf. Gleichzeitig aber geht das Kabinett durch die Komposition über das rein Faktische des Reellen hinaus. Die Installation erschafft einen immersiven und sich ständig ändernden Klang- und Objektraum, dessen vielperspektische Dimensionen sich erst nach und nach zeigen. Es lohnt sich also zu verweilen. Die »Lost Souls« der Industriekultur sprechen zu uns!
Reinhören: Andreas Hagelüken
Text: Markus Steffens
Fotos: Stefan Roigk (1+2), Jürgen Brinkmann (3)
Di 9 - 18.30 Uhr | Mi-Fr 9 - 16 Uhr | Sa 9 - 14 Uhr