Die ehemalige Kapelle im Eichenpark wurde 1905 als Leichenhalle gebaut für die 1862 gegründete und damals sogenannte „Idiotenanstalt“. Trotz ihres Namens war die Anstalt die erste Bildungseinrichtung im Königreich Hannover für Kinder mit Lernschwierigkeiten und anderen Beeinträchtigungen. Ihre Gründung verweist auf die veränderte Haltung im Zuge der Aufklärung gegenüber Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen in ganz Europa. Diese wurden nicht mehr dämonisiert, in der Öffentlichkeit lächerlich gemacht und weggesperrt, sondern als potenziell produktive Mitglieder der Gesellschaft betrachtet. Die Langenhagener Anstalt, die zunächst mit 25 Bewohnerinnen und Bewohnern belegt war, erhielt mit steigender Einwohnerschaft, die in den 1920er Jahren auf 840 Personen angewachsen war, neue Gebäude und Einrichtungen, so auch die Kapelle.
Die englische Klangkünstlerin Cathy Lane nimmt in ihrer Mehrkanal-Klanginstallation Bezug auf die Geschichte der Psychiatrie und die veränderten Erziehungsmethoden von Kindern mit Lernschwierigkeiten und anderen Beeinträchtigungen. Erinnerungen spielen eine große Rolle in den Projekten der Künstlerin, die meist Recherchen zu Lebens- und Arbeitsverhältnissen gesellschaftlicher Randgruppen beinhalten. In ihrer Arbeit „Die Quadratur des Kreises“ steht eine Sound-Komposition im Zentrum, bei der Laute aus dem internationalen phonetischen Alphabet eine wichtige Rolle spielen. Unabhängig von der jeweiligen Sprache ist die Modulation von Lauten über die Lippen, Sprechorgane und die Zunge eine universelle Fähigkeit, die jedoch mit Hilfe von Nachahmung in der Kindheit zur Sprachfähigkeit ausgebildet werden muß. Gelingt die Lautbildung und der daraus resultierende Spracherwerb aufgrund physiologischer oder kognitiver Einschränkungen nicht, sind die Kommunikation und damit verbundene soziale Fähigkeiten erheblich eingeschränkt.
Cathy Lane bezieht in ihre Arbeit für die Kapelle in Langenhagen eine Reihe von Texten verschiedener Autorinnen und Autoren ein, die kindliche Entwicklungsprozesse auf unterschiedliche Weise reflektieren. Dabei steht zwar die Sprache als Kommunikationsform im Mittelpunkt, aber nicht nur in gesprochener, sondern auch in lautmalerischer Form, die menschliche und nicht-menschliche Lautäußerungen umfasst. Traditionelle Märchen und Sagen, in denen berichtet wird wie menschliche Säuglinge mit Feen, Zwerge und Elfen vertauscht werden, waren bis ins 19. Jahrhundert noch Erklärungsmodelle für Kinder mit körperlicher oder geistiger Behinderung, die so dämonisiert wurden. Berichte von in der Wildnis aufgewachsenen Kindern, die gefunden und zivilisiert werden sollen, greifen aufklärerische Gedanken und Schriften auf. Cathy Lane bezieht sich teils direkt auf medizinische Schriften wie etwa auf den französischen Arzt und Pädagogen Èduard Séguin und seine Methoden zur Behandlung von „Idiotie“, aber ebenso auf bereits literarische Verarbeitungen von Primärtexten. Adrienne Richs Gedichte zu dem „wilden Jungen von Aveyron“ und Anne Sextons poetische Bearbeitung von Märchen der Gebrüder Grimm verlassen die wissenschaftliche bzw. volkstümliche Erzählstruktur und binden Erfahrungen und Reflexionen von Frauen zum Thema Kindheit und Erwachsenwerden, eigene Erwartungen und Rollenmodelle ein. Die Berücksichtigung eines Textes der deutschen Journalistin Ulrike Meinhof, die Mitglied der RAF war und 1972 in Langenhagen verhaftet wurde, spitzt die Frage nach dem Einfügen in gesellschaftliche Verhältnisse, nach Auflehnung bis zur Gewaltbereitschaft zu.
Vor dem Hintergrund einer Kapelle auf einem Psychiatriegelände, die heute leer steht, bündeln sich in der Arbeit „Die Quadratur des Kreises“ Geschichten und Geschichte. Wie mit dem Titel bereits angedeutet, betrifft die Unmöglichkeit zwei unterschiedliche geometrische Formen flächengleich zur Deckung zu bringen, zwar zunächst ein mathematisches Problem, gilt aber ebenso für andere Bereiche im übertragenen Sinne. Die Frage der Deckungsgleichheit eigener Lebensvorstellungen mit den gesellschaftlichen Bedingungen, der Auflehnung oder Kompensation stellen sich vor den historischen Entwicklungen jeweils neu dar. Im Rückblick betrachtet, sind Macht und Ohnmacht, Selbstbestimmung und Fremdbestimmungen ständig sich ändernde Parameter. Das Artikulieren der eigenen Gedanken im Kontext einer menschheitsgeschichtlichen Erzählung aus Figuren, Erklärungsmodellen und wissenschaftlich-psychologischen Erkenntnissen bleibt daher ein vorläufiges Unterfangen, voller unterschiedlicher Stimmen, nicht vollendeter Sätze und Laute.
Stimmen:
Adrianne Rich, Anne Sexton, Emilia Mollin, Emilia Reichenbach, Georg zu Eulenburg, Ingrid Plumb, Jacquetta May, Jon Petter, Maje Mellin, Moushumi Bhowmik, Nicola Feuerhahn, Silke Boerma, Tobias Bartels, Viv Corringham, Leonie Nagel
Reinhören: Andreas Hagelüken
Text: Julienne Franke
Video-Stills: Lars Beuko
Mi 12-17 Uhr | Sa + So 14-19 Uhr